März 1985
- Es herrscht eine freudige Spannung an Bord der „Rainbow Warrior“, als sie im März 1985 von
Jacksonville in Florida aus in See sticht. Die Besatzungsmitglieder fiebern ihrem Einsatz entgegen:
Zuerst geht es zur kleinen Südseeinsel Rongelap im Nordpazifik.
Die mehr als 300 Bewohner haben Greenpeace um Hilfe gebeten. Sie leiden unter den Folgen der US-Atomtests
zwischen 1946 und 1958 auf dem benachbarten Bikini-Atoll. Ihre Heimat ist strahlenverseucht,
die Menschen leiden unter schweren Gesundheitsproblemen wie etwa Krebserkrankungen.
Fehlbildungen bei Neugeborenen sind weit verbreitet. Mit Hilfe der Rainbow Warrior wollen die
Rongelapesen auf die nicht verstrahlte Insel Mejato umgesiedelt werden. Doch das 44 Meter lange
Flaggschiff der Greenpeace-Flotte hat eine weitere Mission: Von Mejato aus soll es, nach einem
kurzen Zwischenstopp in Neuseeland, zum Moruroa-Atoll aufbrechen, um gegen französische Atomtests
zu protestieren.
Vorab, im März 1985
- Admiral Henri Fages, der Kommandeur des französischen Atomtestzentrums
im Pazifik, hat schon zu Beginn des Jahres von der bevorstehenden Greenpeace-Fahrt nach Moruroa
Wind bekommen. Besorgt informiert er den Chef des Auslandsgeheimdienstes Direction Générale de la
Sécurité Extérieure (DGSE), Pierre Lacoste. Anfang März wendet sich der Admiral direkt an
Verteidigungsminister Charles Hernu: Die Regierung möge beizeiten geeignete Strategien entwickeln,
um Störungen zu verhindern. Hernu lässt die ministerielle Arbeitsgruppe „Gegenschlag“ bilden.
Am 19. März erhält Geheimdienstchef Lacoste vom Büroleiter des Verteidigungsministers die Weisung,
den Protest der Rainbow Warrior zu stoppen; zudem soll er seine Agenten auf die Greenpeace-Kampagne ansetzen.
April/Mai 1985
- Am 23. April betritt eine Frau mit kurzem, streng gescheiteltem Haar das
Greenpeace-Büro in Auckland. Frédérique Bonlieu nennt sich die zurückhaltend wirkende Person, die
ihre Hilfe anbietet. In der Geschäftsstelle ist man auf Freiwillige angewiesen. Also verschickt
Bonlieu Infoblätter, sortiert Fernschreiben und nimmt Anrufe entgegen, die in der neuseeländischen
Greenpeace-Zentrale eingehen. Schon bald ist die junge Frau in fast alle Details der Rainbow-Warrior-Aktion
eingeweiht. Jede Information, die Bonlieu während ihrer Wochen bei Greenpeace aufschnappt, leitet die
33-Jährige unverzüglich nach Paris weiter. Denn Frédérique Bonlieu heißt in Wirklichkeit Christine Cabon
und steht auf der Gehaltsliste des französischen Nachrichtendienstes.
Bald steht der Plan für die Operation „Satanic“. Die Rainbow Warrior soll durch zwei Haftminen lahm
gelegt werden. Eine im korsischen Aspretto stationierte Kampfschwimmer-Einheit der DGSE wird mit
Planung und Durchführung der Aktion beauftragt.
Juni 1985
Die heiße Phase der Operation Satanic beginnt mit dem Aufmarsch der französischen
Agenten. Am 22. Juni trifft die im benachbarten Französisch-Neukaledonien gecharterte Elf-Meter-Yacht
„Ouvea“ in Neuseeland ein. Die schwimmende Operationsbasis hat Sprengstoff, Tauchausrüstungen, ein in
England gekauftes Zodiac-Schlauchboot an Bord – und mehrere in Aspretto ausgebildete Froschmänner.
Zur gleichen Zeit landen Alain Mafart und Dominique Prieur in Auckland; getarnt als Schweizer Ehepaar
Alain und Sophie Turenge. Einen Tag später trifft auch Jean Louis Dormand aus Los Angeles in der größten
neuseeländischen Stadt ein. Sein wirklicher Name: Louis-Pierre Dillais; Oberstleutnant der DGSE und
„Satanic“-Koordinator. Mit den Kampftauchern Alain Tonel und Jacques Camurier ist das zwölfköpfige
Kommando am 7.Juli komplett.
7. Juli 1985
- Nur Stunden später läuft auch die Rainbow Warrior, von Segel- und Motorbooten
geleitet, in Marsden Wharf ein. Hunderte Neuseeländer bejubeln die Ankunft des Friedensschiffes im Hafen von Auckland.
10. Juli 1985
- Der Mond taucht den Hafen von Auckland in helles Licht. Es ist abends kurz vor halb neun.
Zwei Männer vertäuen ein Schlauchboot mit Außenborder am Marsden Wharf. Die neuseeländische Winternacht
ist sternenklar und kalt. Die beiden Froschmänner, bei denen es sich nach Journalisten-Recherchen um
Jacques Camurier und Alain Tonel handeln soll, schlüpfen in ihre Taucheranzüge. Sie legen Sauerstoffflaschen an,
drücken sich die Atemmasken ins Gesicht und befestigen ihre explosive Fracht an der Neoprenhaut.
Dann gleiten sie ins Wasser und tauchen in Richtung der Rainbow Warrior, deren Rumpf nach wenigen Minuten vor
ihnen auftaucht. Der eine schwimmt zur Schiffsschraube und befestigt die kleinere der beiden Haftminen an der
Propellerwelle. Die zweite, etwa zehn Kilo schwere Bombe heftet der andere Schwimmer an die Außenwand des
Maschinenraums. Nachdem die Zeitzünder eingestellt sind, gleiten die Taucher zurück zu ihrem Schlauchboot.
Sie ziehen es an den Strand und versenken den Außenborder und ihre Atemflaschen im Meer. Dann verschwinden
sie mit einem an der Küstenstraße geparkten Transporter, den
Mafart und Prieur besorgt haben.
10. Juli 1985
- Die Messe der Rainbow Warrior an diesem Abend ist Ort eines Treffens mit Greenpeacern
aus Australien, Neuseeland, Kanada und den USA. Gut ein Dutzend Crew-Mitglieder und einige Gäste sind bis spät an Bord geblieben.
Ein Teil der Crew liegt schon in den Kojen. Die anderen lassen in der Messe gut gelaunt den Geburtstag von
Kampagnenleiter Steve Sawyer ausklingen, der ebenfalls am Treffen teilnimmt. Auch der portugiesische
Fotograf Fernando Pereira feiert noch ein wenig mit.
Um 23.38 Uhr zündet die erste Bombe. Ein Schlag erschüttert die Schiffsmesse, die Männer werden aus ihren
Sitzen geschleudert, das Schiff schwankt bedrohlich. „Das war im Maschinenraum“, schreit Davy Edward.
Sofort hastet der Bordingenieur los, um den Schaden festzustellen. Der Anblick macht ihn fassungslos.
Durch ein garagentorgroßes Loch in der Schiffswand schießt Wasser ins Innere der Warrior. Binnen Sekunden
neigt sich das stolze Schiff zur Seite. „Alles von Bord“, befiehlt Kapitän Peter Willcox. Der Schweizer
Schiffsarzt Andy Biedermann und andere Crewmitglieder kontrollieren geistesgegenwärtig alle Kabinen.
Aus einer befreien sie Margret Mills. Die Schiffsköchin ist fast orientierungslos, da sie im Chaos
ihre Brille nicht finden kann.
„Sie sinkt, sie sinkt“, schreit Pereira und spurtet in seine Kabine, um die wertvolle
Kameraausrüstung zu retten. In diesem Moment detoniert die zweite Sprengladung.
In Panik springt die Crew auf den Anleger. Nur Pereira nicht. Das rasch steigende Wasser
versperrt den Weg. Der zweifache Vater ertrinkt im Bauch des sinkenden Schiffes.
Am nächsten Tag bergen Polizeitaucher den Toten. Seine Beine haben sich in den Gurten einer Kameratasche verheddert.
11. Juli 1985
Um kurz nach ein Uhr nachts wird Steve Sawyer ans Telefon geholt.
Als er die tränenerstickte Stimme seiner Mitarbeiterin Elaine Shaw hört, weiß er:
Etwas Furchtbares ist geschehen. Er rast mit anderen Greenpeacern nach Auckland,
ins Polizeirevier, wo die überlebenden Besatzungsmitglieder verhört werden. Um zwei
Uhr neuseeländischer Zeit trifft in allen Büros der Umweltorganisation ein knappes
Telex ein: „Vor zwei Stunden Rainbow Warrior nach zwei Explosionen im Hafen Auckland
Neuseeland gesunken. Vermutlich Sabotage. Ein Crew-Mitglied vermisst.“ Am Morgen
titelt der Auckland Star: „Sabotage, says Greenpeace.“
11./12. Juli 1985
- Die Nachricht von der tödlichen Explosion löst in Neuseeland
Entsetzen aus. Nie zuvor war das Land mit einer Terror-Aktion konfrontiert. Die
Polizei gründet noch vor dem Morgengrauen eine Sonderkommission mit rund 100 Beamten.
Innerhalb weniger Tage werden sie 400 Zeugenaussagen und rund 1000 Beweisstücke
zusammentragen. Schon nach Stunden stoßen sie auf eine heiße Spur: Nachtwächter
eines Bootsclubs haben durch ihre Ferngläser zwei Männer beobachtet, die aus einem
Schlauchboot Gegenstände in einen Lieferwagen umladen. Da sie vermuten, es handele
sich um Diebe, die Yachten ausgeraubt haben, notieren sie das Kennzeichen: LB 8945.
Der Wagen ist auf einen Autoverleih in der Nähe des Aucklander Flughafens zugelassen.
Dort erfahren die Ermittler, dass der Transporter von einem Schweizer Ehepaar namens
Turenge gemietet worden war. Sie legen sich auf die Lauer. Am Morgen des 12. Juli
schnappt die Falle zu: Als das Paar den Leihwagen zurückgeben will, klicken die
Handschellen. Den anderen an der Operation beteiligten Geheimdienstlern gelingt es
abzutauchen: Vermutlich werden sie vom französischen U-Boot „Rubis“ an Bord genommen,
die „Ouvea“ wird im Pazifik versenkt.
Die Pässe der vermeintlichen Eheleute erweisen sich als gefälscht. Auch im Verhör
geben sie ihre Identität nicht preis. Erst ein Telefonat, das „Sophie Turenge“
vom Hotel aus geführt hat, bringt die Sonderkommission auf die Fährte. Der
Verbindungsnachweis spuckt eine Pariser Nummer aus, die die Ermittler zunächst
nicht zuordnen können. Das französische Innenministerium, das über die Verstrickungen
der eigenen Regierung in den Anschlag nichts weiß, gibt bereitwillig Amtshilfe:
Es handelt sich um eine streng geheime Kontaktnummer des französischen Geheimdienstes.
Juli – September 1985
- Paris dementiert zunächst, mit dem Anschlag etwas
zu tun zu haben. Dann wird enthüllt, dass zwei französische Agenten in den Sabotageakt
verwickelt waren. Präsident François Mitterrand muss eine Untersuchungskommission
einsetzen. Zwei Wochen später sieht diese sich zu einem Teilgeständnis gezwungen:
Zwar hätte der DGSE Greenpeace ausspioniert, an der tödlichen Aktion sei er aber
nicht beteiligt gewesen. Während in der Geheimdienstzentrale die Akten der Operation
Satanic vernichtet werden, bringen Polizei, Journalisten und Greenpeace täglich neue
Fakten ans Licht. Die Dementis werden als Vertuschungsmanöver entlarvt.
Am 17. September schreibt die Tageszeitung Le Monde, es sei „erwiesen, dass
Geheimdienstchef Lacoste und Verteidigungsminister Hernu von dem Attentat informiert
worden waren, es vermutlich sogar selber angeordnet“ hätten. 48 Stunden später müssen
sie zurücktreten. François Mitterrand, der immer tiefer in den Strudel der Affäre gerät,
hält sich im Amt. Am 22. September gesteht Premierminister Laurent Fabius ein, was sich
ohnehin nicht länger leugnen lässt: „Agenten unseres Geheimdienstes haben dieses Schiff
versenkt. Sie handelten befehlsgemäß.“
November 1985
- In Auckland beginnt vor Journalisten aus der ganzen Welt der
Prozess gegen Mafart und Prieur. Die Staatsanwälte haben mehr als 100 Zeugen aufgeboten,
um die Schuld der Angeklagten zu beweisen. Doch hinter den Kulissen glühen die Drähte.
Paris will eine wochenlange Beweisaufnahme und die Enthüllung französischer Geheimdienstmethoden
um jeden Preis verhindern und setzt Neuseeland unter Druck, dessen Wirtschaft auf Agrarexporte
angewiesen ist. Es kommt zum Deal zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft, welche den
beiden Agenten eine direkte Verantwortung für das Anbringen der Magnetminen und damit für
den Mord an Fernando Pereira nicht nachweisen kann. Zum Prozessauftakt bekennen sich die
beiden des Totschlags und der Sachbeschädigung schuldig. Nach nur 34 Minuten endet die Verhandlung.
Knapp drei Wochen später werden Mafart und Prieur zu einer Gefängnisstrafe von jeweils zehn Jahren verurteilt.
Juli 1986
- „Personen, die in dieses Land kommen, um terroristische Aktivitäten zu
entfalten, können nicht erwarten, einen Kurzurlaub auf Kosten unserer Regierung zu verbringen,
um dann als Helden heimzukehren“, hatte Ronald Davison, der Vorsitzende Richter, in seinem
Urteil geschrieben. Doch der Jurist sollte irren. Nach der Drohung aus Paris, per Veto in der
Europäischen Gemeinschaft die Einfuhr von neuseeländischer Butter und Lammfleisch nach Europa
zu blockieren, kommt es unter Vermittlung der UN zu einem Arrangement: Bereits acht Monate
später werden Mafart und Prieur aus dem Aucklander Gefängnis „Mount Eden“ auf eine französische
Militärbasis auf dem Pazifikatoll Hao verlegt, die sie drei Jahre lang nicht verlassen dürfen.
Doch nach rund zwei Jahren sind die beiden Spione wieder zurück in Frankreich. Mafarts undefinierbare
Magenbeschwerden seien auf dem Atoll angeblich nicht zu behandeln. Und auch für Dominique Prieur
hat der neue französische Premierminister Jacques Chirac einen Tipp, als er die beiden Agenten
auf der Militärbasis besucht: „Madame, wir brauchen einen Grund, um sie in einer Notaktion
zurückholen zu können. Ein freudiges Ereignis zum Beispiel.“ Die Agentin versteht. Prieur,
deren Mann zuvor zum Leiter der Militärbasis auf dem Atoll ernannt worden war, wird schwanger.
Im Juni 1988 darf sie nach Frankreich ausreisen.
1987 – 1995
- Bei ihrer Ankunft in Paris werden Prieur und Mafart gefeiert, wenig
später befördert und in den 90er Jahren sogar mit einem Verdienstorden dekoriert. Louis-Pierre Dillais,
der den Einsatz vor Ort geleitet hatte und dafür niemals strafrechtlich belangt wurde,
steigt 1993 zum Geheimdienstkoordinator und persönlichen Berater des Verteidigungsministers auf.
Der Oberkommandierende der Operation Satanic, General Jean-Claude Lesquer, wird zehn Jahre nach
dem mörderischen Anschlag zum „Großoffizier der Ehrenlegion“ ernannt, die zweithöchste Auszeichnung der Republik.
Rund 8 Millionen Euro „Schadensersatz“ zahlt Frankreich nach einem Schiedsgerichtsverfahren an
Greenpeace. Auch die Angehörigen Fernando Pereiras und der Staat Neuseeland werden abgefunden.
Während das Wrack der Rainbow Warrior im Dezember 1987 in einer neuseeländischen Bucht feierlich
versenkt wird, steckt Greenpeace einen Teil des Geldes in ein neues Flaggschiff der Regenbogen-Flotte:
die Rainbow Warrior II. Greenpeace geht gestärkt aus dieser Attacke hervor. Der französische
Terroranschlag bringt der Umweltorganisation weltweit Sympathien, neue Mitglieder und Spenden ein.
Am Ende der Affäre bleiben offene Fragen: Wer hat den entscheidenden Befehl für die Versenkung
des Schiffes gegeben? Wie tief waren Verteidigungsminister Charles Hernu und Präsident
François Mitterrand in die Planung verstrickt? Späte Antworten liefert der über die Affäre
gestolperte Geheimdienstchef Pierre Lacoste mit seinen 1997 erschienen Erinnerungen
„Un amiral au secret“: Darin behauptet er, am 4. Juli, sechs Tage vor dem Anschlag, die Aktion
mit Hernu persönlich abgestimmt zu haben. Zudem sei er am 15. Mai von Mitterrand empfangen
worden und habe ihn detailliert über die geplante Aktion informiert. An diesem Tag, schreibt
Lacoste, habe der Präsident seine Zustimmung zum Bombenattentat erteilt.